Kommentar

Jan Peter Thorbecke, aufgewachsen am Bodensee, in Lindau und Konstanz, der nach Jahren in Hamburg, Brüssel und Darmstadt nun wieder in Konstanz lebt und arbeitet, zählt zu jenen ungewöhnlichen Künstlern, die in ihrem Werk eine geradezu melancholische Nachdenklichkeit, wie man sie „den“ Deutschen gerne nachsagt, zu verbinden weiß mit einer Kultur des Zeichnens und einer Sinnlichkeit strahlender Farben und Valeurs, die man hierzulande gerne „französisch“ nennt. 

Was den Künstler gleichermaßen interessiert, das ist sowohl das freie, intuitive Spiel mit seinen künstlerischen Mitteln, als auch die Beobachtung des Menschen und seiner Orte. Und so verwundert es nicht, dass in Thorbeckes aktuellem Werk abstrakte Zeichnungen in der Nachfolge des Informel neben Zeichenblättern, Druckgraphiken, Aquarellen und Gemälden stehen, die uns auf die lange, große Tradition der Landschafts-, Stillleben- und Interieurdarstellungen, aber auch der Familien- und Personenbildnisse verweisen. Hier wie dort beginnt alles ganz harmlos: Aus dem Geflecht nervös bewegter Linien bzw. aus dem Flirren bunter Farbteppiche, in die der Maler Muster einwebt, entstehen vor unseren Augen Welten, die dem Betrachter zunächst angenehm vertraut erscheinen – wohl auch, weil all diese Räume, der bewegten Pinsel- oder Strichführung zum Trotz, seltsam still stehen. Tatsächlich gestaltet der Maler und Graphiker Thorbecke seine Bilder selten in bzw. nach der Natur. Vielmehr bevorzugt er als Grundlage seiner künstlerischen Arbeit historische bzw. in Magazinen abgedruckte Fotografien. Fotos von Orten und von Menschen, die einzeln, in Gruppen oder paarweise in der Landschaft posieren, in Zimmern sitzen oder zu Familienfesten zusammengekommen sind, faszinieren ihn besonders. Nicht allein der Künstler, auch wir kennen den unheimlichen Beigeschmack, der solchen Fotografien eigen ist: Während wir soeben noch meinten, die Fotografie zeige Wirkliches, bemerken wir das Arrangement und die Inszenierung, kehren die Toten wieder, verfängt sich der Blick an der Hülle unseres eigenen Ich. Ja, dies war oder ist offensichtlich, doch wie fremd ist mir das zugleich.. Diesen Moment, in dem ein plötzliches Erkennen unser Studium der Welt und die Beobachtung ihrer Gegenstände unterbricht, das Kontinuum der Zeit zerreißt, hat Jan Peter Thorbecke zum eigentlichen Gehalt seines Werks gemacht. Tatsächlich lösen sich in fast all seinen Bilder die gezeigten oder erinnerten Gegenstände in jenen Strukturen, Flächen und Linien wieder auf, aus denen sie, im ersten Akt, hervorgegangen sind. Dieser Baum, dieser Tisch, jener Mensch – sie alle bleiben in Thorbeckes Arbeiten nicht für sich. Zusammengeführt mit all den anderen, gleichwertig ins Bild gesetzten und ihrer Individualität beraubten Gegenstände und Personen wird das Fremde und Befremdende sowohl der erinnerten, als auch der vergegenwärtigten Orte, Räume, Zeiten, Welten und Bühnen sinnfällig. Jan Peter Thorbecke behauptet also in seiner Malerei und Zeichnung nicht bloß das Sein der dargestellten Gegenstände, sondern zugleich auch deren Vergänglichkeit, Vergeblichkeit und Fremdheit. Zeitgenössisch sind diese Werke, da sie uns das Dilemma des modernen Subjekts verdeutlichen, dessen Anspruch auf freie Gestaltung seines eigenen Selbst sich immer wieder neu an der Erfahrung eigener Ohnmacht bricht. Traurige Vanitas-Bilder sind Thorbeckes Arbeiten deshalb dennoch nicht. Gegen die Machtlosigkeit setzt der Künstler, dabei die „Sprache“ seiner Hand auslotend, die Möglichkeiten seiner Mal- und Zeichenkunst: Vom zarten, schwarz-weißen Lineament bis zur intensiven Farbigkeit; vom Einsatz des Pinsels und des Stifts als Mittel historischer Rekonstruktion über den Akt der Transformation bis hin zur freien, spielerischen Aktion reicht Thorbeckes Umgang mit den Mitteln. Mit ihnen, in einem Akt frei geglückten Handelns, bringt er die Bruchstücke im Bild zusammen. Das alles kann die Linie, vermag die Farbe! Auch das machen Thorbeckes „Sehstücke“ deutlich!

Es beginnt alles ganz harmlos

Christoph Bauer M.A. (Leiter des Städtischen Kunstmuseums Singen)